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Matthias Osterwold ist ein Meister der Balance. Wohlproportioniert
weiß er alle Indrigenzien in der Maerzmusik unterzubringen, die
die Küche der aktuellen Musik zu bieten hat. Berliner Komponisten
wurden engagiert (auch hier noch in verschiedene Fraktionen unterteilt),
aber natürlich – das Festival hat überregionalen Anspruch – auch
Auswärtige. Verschiedene Facetten der Klangkunst, der Performance
und Clubkultur bietet er, aber niemand soll ihm vorwerfen, er vernachlässige
die Konzertmusik: Es gibt auch Orchester und Streichquartett. Und
etwas Schwerpunkt muss auch sein: Baltische Musik ist es dieses
Mal. Osterwolds erklärtes Ziel: Unterschiedliche Publikumsmileus
sollen angelockt werden, und das scheint zu klappen. Berlins Neue-Musik-Szene,
beim Ultaraschall Festival oft komplett präsent, machte sich rar,
andere Hörerkreise kamen in Scharen.
Allabendlicher
Treffpunkt der Clubkulturfreunde was die Sonic Arts Lounge, Hauptattraktion
dort das Lautsprecherorchester Motus, bestehend aus 48 Boxen. Neben
Phill Niblocks sehr wuchtigen, körperlichen Klängen blieb vor allem
Isabella Bordinis Installation „Stanze d`ascolto“ in Erinnerung.
Feinsinnig von vier Musikern geregelte Klänge und assoziationsreiche
Videoprojektionen ließen die Zuschauer in andächtiger Konzentration
verharren. Das machte einige völlig unmotivierte Darbietungen im
Foyer, denen die Hörer schnell davon liefen, verschmerzen.
Zwiespältig
waren die Eindrücke im Bereich Performance/Musiktheater. Mit „Dark
Matter“ gelang Richard Barrett wohl die ausdruckstärkste Auftragskomposition
des Festivals. Sinn und Zweck der aufwändigen Bühneninstallation
erschlossen sich jedoch nicht, sie wirkte überladen und intellektuell
völlig überfrachtet. Roland Pfrengles Stück „An sich“ zeigte eine
fein ausgearbeitete musikalische und szenische Gestaltung, deren
Sinn sich jedoch mehr über die acht Programmtextseiten als über
die unmittelbare Wahrnehmung erschloss. Die Werke von Robert Ashley,
Ingrid Caven und Wolfgang von Schweinitz verbindet die formale Grunddisposition:
Text und Musik stehen nur nebeneinander, sie werden nicht verbunden.
Dieses Verfahren ist sicher dem Bemühen geschuldet, den Hörer nicht
mit eindeutigen Text-Musik-Interpretationen zu bezwingen, sondern
ihm einen offenen Assoziationsraum zu bieten. In dieser Ballung
hinterlässt das Verfahren aber einen faden Nachgeschmack, es verkommt
zur Masche. Immerhin hat von Schweinitz zu den Texten von Friedericke
Mayröcker eine interessante Musik in der von ihm entwickelten Obertonharmonik
zu bieten. Pierre Henrys Klänge zu Caven waren allenfalls dekorativ
und Robert Ashleys Dauerberieselung mit popigen Minimalmusic-Klängen
geriet zur Zumutung. Derlei mag bei einem Literaturfestival durchgehen,
in der MaerzMusik ist es unpassend.
Im
Bereich Konzertmusik bleibt neben dem Orchesterkonzert vor allem
das farbige Programm des Berliner Kairos Quartett in Erinnerung.
Eno Poppes Auftragswerk „Tier“ bot ein eigenartig bewegtes klangliches
Innenleben und Orm Finnendahls „Fälschung“ mixt gewitzt Balkanklänge
und Chopin in vielfäligen rhythmischen Brechungen. Das Kombinationskonzert
mit den Ensembles Cikada aus Norwegen und Elison aus Australien
war als Doppelpack etwas zu gut gemeint. Nach zwei Stunden ist ein
langes und anrührend schönes Stück wie „ik(s)land[s]“ von Chis Dench
kaum noch zu würdigen.
Der
Schwerpunkt Balikum brachte wenig neue Erkenntnisse. Es bleibt erstaunlich,
wie viel Musik die drei an Einwohnern armen Republiken zu bieten
haben und das Niveau der ausführenden Ensembles ist erstklassig.
Aber die meisten der aufgeführten Werke ringen vergeblich um eine
Synthese aus Tradition und Moderne. Immer wieder zeigen nette Minimal-Klänge,
meditative Klangflächen und unmotivierte Reprisen, dass die meisten
Komponisten sich dem Zwang ausgesetzt sehen, ja nicht zu radikal
zu komponieren. Statt das immer wieder vorzuführen, bot sich die
Chance, unterschiedliche ästhetische Ansätze mittel- und osteuropäischer
Musikkultur zu thematisieren. Die baltischen Länder gehören zu Europa,
bald auch zur EU, und Musiker und Pädagogen aus Osteuropa sind an
deutschen Orchestern und Musikhochschulen immer häufiger zu finden.
Ist es da nicht an der Zeit, Gegensätze offen anzusprechen? Ein
Symposium mit streitfreudigen Vertretern hiesiger und dortiger Musikkultur
hätte einigen Ertrag versprochen.
Ullrich
Pollmann, Der Tagesspiegel, März 2003
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